Die Schader-Stiftung setzt sich für den Austausch zwischen den Gesellschaftswissenschaften und der Praxis ein. Kooperationsveranstaltungen bilden dabei das Herzstück der Arbeit. Um sowohl den Kooperationspartnern als auch den Gremienmitgliedern Teilhabe an der Stiftungsentwicklung zu ermöglichen, wurde eine besondere Gremienstruktur auf die Beine gestellt.

In einem Festakt wird auch in diesem Jahr Ende Juni der Schader-Preis von der Schader-Stiftung verliehen. Preisträgerin ist die Politikwissenschaftlerin Silja Häusermann, „die den Wandel des Wohlfahrtsstaats in allen seinen Facetten mit methodischer Rafinesse und analytischer Präzision analysiere“, so der Sprecher des Stiftungssenats, Otfried Jarren, laut der Stiftung. Sie bereichere nicht nur die Gesellschaftswissenschaften, sondern ebenso den gesellschaftlichen Diskurs. Der mit 15.000 Euro dotierte Preis ehrt Gesellschaftswissenschaftler, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Arbeit und durch ihr Engagement im Dialog mit der Praxis einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme geleistet haben.

Der Dialog der Gesellschaftswissenschaften mit der Praxis – das ist der Fokus der Darmstädter Schader-Stiftung. „Die Stiftung versucht dafür zu sorgen, dass die richtigen Menschen miteinander ins Gespräch kommen, um die Gesellschaft weiterzuentwickeln“, erklärt Alexander Gemeinhardt, geschäftsführender Vorstand der Stiftung. Dabei zählen neben der Soziologie und Politikwissenschaft auch beispielsweise Ökonomik, Stadtforschung und Rechtswissenschaften zu den Gesellschaftswissenschaften als erweiterter Begriff der Sozialwissenschaften.

Um einen festen Ort für den Austausch untereinander zu haben ließ die Stiftung im Jahr 2010 den Schader-Campus in Darmstadt errichten. Dort finden finden im sogenannten Schader-Forum etwa Tagungen und Seminare statt. Nicht weit entfernt davon befindet sich die Schader-Residence, die neben weiteren Tagungsräumen auch etwa eine Galerie enthält. Es handelt sich dabei um das ehemalige Wohnhaus des Stifters Alois Schader.

Der heute 96-Jährige gründete im Jahr 1988 die Stiftung. Als freiberuflicher Bauingenieur hat er erlebt, wie Wohnungsbauvorhaben am Bedarf vorbeigeplant wurden. Auftraggeber hatten den Trend nicht erkannt, dass in Zukunft Familien kleiner würden und somit auch kleinere Wohnungen benötigt würden. Längst bekannt war diese Entwicklung dagegen den Gesellschaftswissenschaftlern gewesen. Doch der Austausch zwischen diesen und Wohnungsbauunternehmen, Bauingenieuren und Architekten gab es nicht oder nur sehr selten. Dies wollte und will Schader mit der Stiftung ändern. Angefangen mit dem Thema Wohnen und Bauen haben sich die Themenfelder der Stiftung mit den Jahren stetig erweitert. Dazugekommen sind etwa die Bereiche Vielfalt und Integration, Gemeinwohl und Verantwortung sowie Kommunikation und Kultur.

2022 hat der Stiftungsgründer mit 93 Jahren den Vorstandsposten abgegeben. „Alois Schader ist zwar nicht mehr offiziell in der Stiftung aktiv, er ist aber noch immer ein wichtiger Ratgeber im Hintergrund“, sagt Alexander Gemeinhardt.

Drittmittel sind unerlässlich

Finanziert wird die Stiftungsarbeit neben den Erträgen aus dem Stiftungskapital auch über Drittmittel von Kooperationspartnern. Das können kleinere Summen im vierstelligen Bereich sein, etwa die Übernahme für die Kosten eines Caterings für einen Workshop oder die Übernahme von Reisekosten. Höhere sechsstellige Beträge erfordern vor allem personalintensive Projekte, die die Stiftung beispielsweise zusammen mit Landesministerien oder der Deutschen Bundesstiftung Umwelt initiiert.

Kooperationen sind nicht nur für die Finanzierung der Stiftung unabdingbar, sie sind auch elementar für die Stiftungsarbeit. Denn neben der Verleihung des Schader-Preises, fußt die Arbeit der Stiftung ganz überwiegend auf Kooperationsveranstaltungen. Ein Beispiel dafür stellen die jährlichen Darmstädter Tage der Transformation dar. Kooperationspartner für die Veranstaltung waren in diesem Jahr die Hochschule Darmstadt, die Industrie- und Handelskammer Darmstadt Rhein-Main Neckar und die Schmid-Stiftung. In jedem Jahr wird unter dem Überbegriff Transformation der Fokus auf ein bestimmtes Thema gelegt. So ging man bei den diesjährigen Aktionstagen im April der Frage nach, wie kleine und mittlere Unternehmen zu nachhaltiger Entwicklung beitragen können. Geladen zum Dialog waren dabei neben Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft auch Akteure aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.

Die Veranstaltungen finden alle auf dem Schader-Campus statt. Diese örtliche Fokussierung war nicht von Anfang an gegeben. „Zunächst hat die Stiftung dezentral gearbeitet und aus einer kleinen Geschäftsstelle in Darmstadt heraus deutschlandweit Projekte initiiert“, sagt Alexander Gemeinhardt. „Dies hat sich 2010 durch die Inbetriebnahme des Schader-Campus geändert.“ Doch damit hat sich auch gezeigt, dass die alte Satzung nicht mehr zum neuen Arbeitsmodell passt. Es sei halt etwas anderes, wenn man mit einer Stiftung an verschiedenen Orten in Deutschland Projekte sozusagen im Feld initiiere oder alles im Stiftungszentrum selbst stattfinde, so Gemeinhardt. Also sei die Satzung 2013 geändert worden. „Das ist einer der Vorteile, wenn der Stifter noch selbst mitwirken kann“, konstatiert er. „Dennoch haben wir auch nach dieser Satzungsänderung immer wieder ein paar Punkte erkannt, die verbesserungsfähig sind. So wurde die Satzung vom Stifter in enger Abstimmung mit den Gremien ein weiteres Mal nachjustiert.“

Einer dieser Punkte betraf die Gremienstrukturen und die Governance. So habe der Stifter den Wunsch gehabt, die Nutznießer der Stiftung stärker zu beteiligen. „Alois Schader sagt gern, die Erben der Stiftung sind die Gesellschaftswissenschaftler. Und um diese zu beteiligen, wünschte er sich starke Partizipationsmöglichkeiten“, sagt Gemeinhardt. Es mussten also neue Gremien her. Dabei hat man vermeiden wollen, dass die Mitglieder aus sich selbst heraus rekrutiert werden. „Denn dadurch besteht immer eine gewisse Gefahr, Schlagseite zu bekommen“, erklärt Gemeinhardt. Deshalb hat die Stiftung das Gremienkonzept auf eine höhere Transparenzebene gehoben.

Groß wählt klein

Dazu ist ein Großer und ein Kleiner Konvent eingeführt worden. Im Großen Konvent treffen sich einmal jährlich die Gremienmitglieder und die Kooperationspartner. Dabei handelt es sich um etwa 120 Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Unternehmen, Verwaltung, Kammern oder zivilgesellschaftlichen Organisationen. Gemeinsam diskutieren sie die inhaltliche Entwicklung der Stiftung für das kommende Jahr. Doch der Große Konvent hat noch eine weitere Aufgabe: „Aus ihm heraus werden die Mitglieder des Kleinen Konvents als wissenschaftlicher Beirat gewählt. Dieser begutachtet Themen und berät das wissenschaftliche Team der Stiftung auf inhaltlicher Basis. Daneben hilft er, Kontakte in wissenschaftliche Bereiche zu knüpfen“, sagt Alexander Gemeinhardt. Die Begünstigten der Stiftung bestimmen im Großen Konvent selbst, wer die Interessen der Wissenschaft im Kleinen Konvent vertreten soll. „Das ist ein bisher einmaliges Modell in der deutschen Stiftungsszene“, so Gemeinhardt.

Früher setzte sich das Kuratorium aus Wissenschaftlern und Kooperationspartnern zusammen, das inhaltliche und wirtschaftliche Fragen gemeinsam diskutierte. Das hat nicht immer funktioniert. „Nicht jeder Soziologe hatte echtes Interesse, wenn es um Geldanlagen oder Immobilienverwaltung ging. Und nicht alle Fachleute aus Banken oder der Verwaltung waren bereit, in jedes Projekt inhaltlich einzusteigen“, erklärt Gemeinhardt. „Es war also immer nur die Hälfte der Kuratoriumsmitglieder so richtig dabei gewesen.“ Deshalb wurden die Aufgaben des Kuratoriums dem Stiftungsrat und dem Kleinen Konvent übergeben. Der Stiftungsrat ist für die wirtschaftliche Steuerung sowie Prüfvorgänge verantwortlich, der Kleine Konvent für inhaltliche Fragen.

Alexander Gemeinhardt leitet die Darmstädter Schader-Stiftung seit 2013, Foto: Julia Wisswesser

Eine besondere Funktion wird dem Stiftungssenat zuteil, der aus den jeweils sieben letzten Preisträgern des Schader-Preises zusammengesetzt ist: „In Zukunft wird es irgendwann nicht mehr möglich sein, den Stifterwillen zu hören. Der Senat hat deshalb unter anderem die Aufgabe, den Stifterwillen in der Ewigkeitsperspektive zu artikulieren“, erklärt Gemeinhardt. Dazu gehört auch, eine laufende Definition von Gesellschaftswissenschaften aufzustellen. „Vielleicht muss beispielsweise in 100 Jahren der Begriff neu definiert werden“, sagt Gemeinhardt. „Denn was wir heute darunter verstehen, kann in Zukunft anders interpretiert werden. Vor 100 Jahren hat es etwa noch keine Politikwissenschaft im heutigen Sinn gegeben und die Kommunikationswissenschaft ist erst 80 Jahre alt. Was sind also die Gesellschaftswissenschaften von morgen?“

Es hat sich viel getan

Einen positiven Einfluss von Gesellschaftswissenschaften sieht Gemeinhardt beispielsweise in der Bildungslandschaft: „Fachhochschulen haben sich in den letzten 25 Jahren massiv weiterentwickelt. Sie sind als Hochschulen für angewandte Wissenschaften mittlerweile attraktive Partner für Kommunen und vor allem für Unternehmen aus der Privatwirtschaft“, stellt Gemeinhardt fest. Aber auch im Stiftungsbereich sei viel in Bewegung gekommen. Man frage sich dort heute vermehrt, wie Stakeholder mit eingebunden werden könnten und auch, wie die Bürgerinnen und Bürger direkt zu Beginn beteiligt werden. Und auch die Kooperationsfähigkeit zwischen Stiftungen habe spürbar zu- und manche Eitelkeit abgenommen.

Also alles bestens? „Nein. Es hat sich zwar vieles verbessert, doch gibt es heute beispielsweise wie in den 1980er Jahren immer noch verfehlte Stadtplanung“, sagt Gemeinhardt. „Und auch heute liegen die Gründe dafür teilweise noch immer in der fehlenden Zusammenarbeit zwischen Gesellschaftswissenschaftlern und Kommunen, Bauträgern und Architekten.“ Auch die in den vergangenen Jahren vermehrt vorangetriebenen kommunalen Bürgerbeteiligungen sieht Gemeinhardt skeptisch. „An vielen Stellen mussten die Kommunen feststellen, dass der Effekt der Beteiligungen nicht so groß war wie erhofft. Bürgerbeteiligungen stärken oft diejenigen, die ohnehin schon ressourcenstark sind und gehört werden. Marginalisierte Gruppen bleiben weiterhin außen vor.“ Das seien Erfahrungs- und Lernprozesse, die immer wieder von neuem gemacht werden müssten.

 

 

 

 

 

 

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