Ralf Tepel, Vorstand der Karl-Kübel-Stiftung, berichtet im Interview über Projektländer, die besonders unter der Pandemie leiden. Die Stiftung hat in einigen Projekten Nothilfemaßnahmen an bestehende Projekte andocken müssen.

In reicheren Ländern steigt die Zahl der Geimpften kontinuierlich an. Wie ist die Lage in den Ländern, in denen Sie im Bereich Entwicklungszusammenarbeit aktiv sind?

Ralf Tepel ist Vorstand der Karl-Kübel-Stiftung. Fotos: Karl-Kübel-Stiftung (4x)

Ralf Tepel: In unseren Partnerländern beobachten wir eine zweite, teilweise dritte Welle. Dies ist auch ausgelöst durch die dortige Situation: Abstandhalten, Hygiene und Impfungen funktionieren nicht immer. Möglicherweise wird dies auch befeuert durch die Politik, die die Pandemie kleinredet. Das hat zu einer gewissen Sorglosigkeit, einem Zurückkehren zur Normalität geführt, mit großen Feiern, religiösen Festen und Wahlen, bei denen es immer zu großen Menschenansammlungen kommt. Wir sehen daher in diesen Ländern einen Kollaps der Gesundheitssysteme. Teilweise sind Menschen vor den Toren von Krankenhäusern gestorben.

Welche der Länder, in denen die Karl-Kübel-Stiftung aktiv ist, sind besonders betroffen?
Tepel: Das prominenteste Beispiel ist Indien mit über 400.000 Neuerkrankungen pro Tag in der Spitze. Das sind allerdings nur die offiziell Gemeldeten. Wie hoch die Dunkelziffer ist, wissen wir nicht. In Nepal haben wir enorme Fallzahlen, viele Regionen sind unzugänglich, oft ist die Infrastruktur schlecht. In anderen Ländern, in denen wir aber nicht mit unseren Partnern und Projekten vertreten sind, ist die Situation ebenfalls schlimm.

Welche Projekte unterhält die Karl-Kübel-Stiftung in diesen Ländern?
Tepel: Bei uns geht es immer um das Thema „Kind und Familie“ mit dem Fokus auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen. In Nepal unterstützen wir seit dem Erdbeben 2015 vor allem Projekte im Bereich der Erdbebennachsorge und des Wiederaufbaus von Wirtschaft und Infrastruktur. Wir sind in ländlichen Gebieten tätig, wo wir Familien und Gemeinschaften helfen, kleine Wirtschaftsunternehmen aufzubauen. Dort geht es um Bildung, gepaart mit wirtschaftlicher Entwicklung. Die Kleinunternehmen sollen zu einer nachhaltigen Entwicklung im Bildungsbereich beitragen, sprich: dazu, dass Eltern in der Lage sind, ihre Kinder zur Schule zu schicken.

Regelmäßiges Händewaschen ist wichtig. Schon die Kleinsten lernen, wie sie sich vor dem Virus schützen können.

Wie schlägt sich die Pandemie in den Projekten nieder?
Tepel: In unseren Projektländern gibt es im staatlichen Schulsystem seit März 2020 quasi keine Beschulung mehr. Die Gefahr ist groß, dass viele Kinder nur teilweise wieder zurückkommen. Gerade Kinder aus benachteiligten Gruppen sind bedroht, durch die lange Abstinenz aus dem Schulsystem herauszufallen. Deswegen haben wir im letzten Jahr breitflächig sogenanntes Homeschooling angeboten. Natürlich nicht in dem Sinne, wie wir es kennen. Sondern die Klassen versammeln sich mit ihren Lehrern etwa auf Dorfplätzen. Schule ist zudem in den Ländern, in denen wir arbeiten, sehr oft mit Schulspeisungen verbunden, das heißt die Schulschließungen haben auch unmittelbaren Einfluss auf die Gesundheit und Ernährung der Kinder. Von Schulschließungen sind häufig Mädchen besonders schwer betroffen, etwa wenn sie früh verheiratet werden.

Sie fördern auch Kleinbauern. Die dürften durch die Pandemie weniger betroffen sein.
Tepel: Es stimmt. Kleinbauern können weiter produzieren. Aber wenn sie für den Markt produzieren, also Teile ihrer Erträge verkaufen wollen, wird es zum Teil wieder schwierig. Transportsysteme wie der gesamte öffentliche Nahverkehr sind als Corona-Präventionsmaßnahme zum Erliegen gebracht worden, um den Austausch von Dorf zu Dorf zu unterbinden.

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Ralf Tepel war auch einer der Gesprächspartner des Roundtables zur Entwicklungszusammenarbeit von Engagement Global und DIE STIFTUNG, in dem es um globale Krisen, Kooperationen und die Erreichbarkeit der SDGs ging.

Welche Hilfen werden benötigt?
Tepel: Es geht in der Nothilfe um sehr breit gefächerte Bedarfe. Etwa darum, dass man diese Menschen in ihren Dörfern in ihren Häusern mit Nahrungsmitteln versorgt in Phasen, in denen kein Einkommen erwirtschaftet werden kann. Es geht auch darum, Gesundheitsstationen mit dem Nötigsten auszustatten, Menschen zu Kliniken zu transportieren. Teilweise sind es banale Probleme, an die man kaum denken würde: Aus einem Projekt ist uns gemeldet worden, dass die Menschen durch den Wegfall der Nahverkehrs nicht mehr zur Bank gehen und sich Bargeld beschaffen können.

Indien hat im Zuge der Pandemie aber auch seine sozialen Sicherungssysteme ausgebaut – greifen diese Hilfen?
Tepel: Indien ist dabei, soziale Sicherungssysteme auszubauen, aber das ist bei weitem noch nicht bei den Menschen angekommen, mit denen wir zu tun haben. Die Menschen erhalten vom Staat ein „Überbrückungsgeld“ von 1.000 Rupien, das entspricht etwa zehn Euro. Damit kommt eine Familie nicht weit. Man kann also feststellen: Ja, die Länder haben reagiert, aber man muss auch sehen, mit welch entlegenen Regionen und welchen Menschen man arbeitet: Viele besitzen nicht einmal einen Ausweis, können daher auch keine Hilfen in Anspruch nehmen.

Um den Unterricht aufrecht zu erhalten, werden Kinder während der Pandemie im Freien unterrichtet.

Gibt es für dringende Notfälle nicht die Hilfswerke, die eingreifen?
Tepel: Ja, und das tun sie auch. Wir haben uns vergewissert, dass in den Regionen, in denen wir tätig sind, keine Doppelung von Hilfs- und Dienstleistungen stattfindet. Zudem richten wir uns nicht an explizite Nothilfeorganisationen, sondern arbeiten mit den Partnern zusammen, mit denen wir ohnehin kooperieren – das sind lokale, registrierte Hilfsorganisationen. Unsere Partner werden vom Staat angefragt, ob sie auch Leistungen mitübernehmen können und mobilisieren können. An bestehende Entwicklungsprojekte docken wir Nothilfemaßnahmen an – hoffentlich nur für eine begrenzte Zeit.

Das heißt, ihre aktuellen Maßnahmen sind aus der Not geboren?
Tepel: Ja, sie sind an die Notsituation angepasst. Im Regelfall machen wir keine Nahrungsmittelhilfe, kein Homeschooling. Das haben wir in der Notsituation aufgesetzt, auch um bisherige Entwicklungsschritte zu sichern.

Wie reagiert eine Stiftung mit wahrscheinlich verplantem Budget auf eine außergewöhnliche Krisensituation?
Tepel: Man schaut, ob das Budget, das über das Jahr verplant ist, gegebenenfalls noch freie Eigenmittel umfasst. In dieser Notsituation sind wir auf unseren Spenderkreis zugegangen, zum Teil auch auf unsere institutionellen Unterstützer, wie das Ministerium, andere Vereine und Stiftungen. Viele haben schnell und spontan auf unsere Anfragen reagiert.

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