Schulische Bildung hängt in Namibia, einem Land im Südwesten Afrikas, sehr stark mit dem verfügbaren Familieneinkommen zusammen: Wer Geld hat, kann seine Kinder zur Schule schicken, arme Familien gehen leer aus. Zwei deutsche Organisationen zogen aus, um diese Situation zumindest in einem kleinen Rahmen zu ändern.

Eine Zahl wie ein Urteil: 59,1. Sie steht für den Gini-Index für Namibia, eine Kennzahl, die die Einkommensverteilung in einem Land veranschaulicht. Mit 59,1 ist Namibia in der Länderliste seit Jahrzehnten auf den letzten Plätzen zu finden. Einer der wichtigsten Gründe ist schnell identifiziert: das namibische Schulsystem, das wegen hoher Schulgebühren nur einkommensstarken Familien Zugang zur Bildung gewährt. Ohne Bildung keine Chance auf einen Job – der Teufelskreis dreht sich von Generation zu Generation weiter. Und so lebt über die Hälfte der namibischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, trotz Bodenschätzen wie Diamanten und Uran, trotz großer Vieh- und Fischbestände, trotz eines starken und stets wachsenden Tourismussektors. Gewalt, Prostitution, Hunger sind ständige Begleiter, über die Hälfte der Jugendlichen ist arbeitslos, nur drei Prozent schaffen den High-School-Abschluss.

Mit gut 2,3 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland, ist Namibia sehr dünn besiedelt. Das macht es für große Hilfsorganisationen schwierig und unattraktiv, sich dort zu engagieren – die NGO-Landschaft ist von kleinen Projekten geprägt, die oft nur in einer einzigen Gemeinde tätig sind. Zwei von ihnen sind Steps for Children und Tangeni Shilongo Namibia, die ein Ziel haben und doch unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide wollen allen Kindern einen fairen Zugang zur Bildung bieten. Doch sowohl die Gründer – hier ein ehemaliger Unternehmer auf der Suche nach neuen Aufgaben im Leben, dort ein junger Mann, den die Situation in Namibia bei seinem freiwilligen sozialen Jahr (FSJ) überwältigt – als auch die Art der Projekte sowie deren Finanzierung zeugen davon, wie vielfältig Hilfe aussehen kann.

Stifter Michael Hoppe konzentriert sich mit Steps for Children auf Namibia und Simbabwe. Foto: Steps for Children.

Steps for Children

Michael Hoppe ist Anfang 50, als er 2002 seine Unternehmerkarriere beendet, zuletzt als Vorstandsmitglied von Ipsos, einem der größten Marktforschungsunternehmen weltweit. Nach einigen Jahren als Business Angel und Coach wächst in ihm der Wunsch nach einer Tätigkeit mit Sinn. „Ich möchte etwas zurückgeben“, erklärt er kurz und bündig seine Motivation. Kinderhilfe sollte es werden, denn mit Kindern beginne alles, lasse sich vieles noch verändern auf dem Lebensweg. Zuerst möchte er in der Heimat helfen. Doch in Hamburg stößt Hoppe auf mehr Hindernisse als Unterstützung, also orientiert er sich um und geht, einem Tipp folgend, 2005 auf eine Afrikareise. Dort will er eine Idee für ein sinnstiftendes Engagement finden. In Okakarara im Norden von Namibia gelingt ihm dies. In Deutschland gründet er im Jahr darauf die Stiftung Steps for Children, in Okakarara baut er zunächst eine Suppenküche und eine Vorschule auf.

Heute, gut 15 Jahre später, ist Steps for Children an sechs Standorten in Namibia tätig. Darüber hinaus wurden in Zusammenarbeit mit Plan zwei weitere Projekte in Simbabwe gestartet. An jedem Standort ist das Ziel das gleiche: Kindern eine warme Mahlzeit anzubieten, ihnen die Möglichkeit zu geben, kindgerecht zu spielen, vor allem aber zu lernen und sie so auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten. Dies geschieht in Kindergärten und im Nachmittagsunterricht, die von der Stiftung betrieben und finanziert werden. In dem Schutzengelprogramm gibt es sogar bereits acht junge Erwachsene, die mit Hilfe von Steps das Abitur gemacht haben und jetzt studieren.

Die sogenannten sozialen Steps sind untrennbar mit den „Einkommen erzielenden Steps“ verbunden: Die Stiftung baute im Laufe der Jahre verschiedene kleine Unternehmen auf, von einer Nähstube über eine Tischlerei bis zu Gemüse- und Obstplantagen und Gästehäusern. Dort werden Erwachsenen Arbeitsplätze angeboten, mit denen sie ihre Familien ernähren können – ein Job kann für bis zu zehn Familienangehörige sorgen. Die Gewinne aus den kleinen Unternehmen fließen zu 100 Prozent in die Projektarbeit der Stiftung.

Tangeni Shilongo Namibia

Selbst fast noch ein Kind, gründet Volkan Sazli nach seinem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst 2015 den Verein Tangeni Shilongo Namibia mit dem Ziel, Kindern vor Ort zu helfen, denn „Kinder sind und bleiben unsere Zukunft“, wie er sagt. Eine sehr gute Freundin sei jahrelang nach Namibia gereist und habe ihn für das Land begeistert. Nach einem Autounfall in Namibia stirbt sie 2011, und Sazli nimmt sich vor zu erkunden, was sie an diesem Land so faszinierte. 2014 geht er mit „Weltwärts“ nach Namibia, arbeitet ein Jahr lang im DRC School Project & Community Centre – und bleibt. Zunächst von Deutschland aus pendelnd, seit 2021 fest.

2004 dreht die Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie in Swakopmund, einem Küstenort in Namibia, einen Film. Nach Drehschluss sorgt sie dafür, dass die Container, die als Kulissen angeschafft wurden, vor Ort bleiben und für soziale Zwecke genutzt werden. Das DRC School Project & Community Centre wird geboren, eine Bildungs- und Gemeinschaftseinrichtung in der Democratic Resettlement Community (DRC), einem Township von Swakopmund in der Wüste Namib. Als Sazli 2014 dort seinen Freiwilligendienst macht, ist die Einrichtung bereits in die Jahre gekommen. Nach der Gründung unterstützt der Verein zunächst die Arbeit im Schulprojekt, finanziell und persönlich bei regelmäßigen Aufenthalten vor Ort. Die Container werden gestrichen, ein Spielplatz gebaut, eine Bücherei eingerichtet. Kurz darauf übergibt die Initiatorin das Schulprojekt ganz an den Verein, der das Bildungsangebot immer weiter ausbaut.

Heute werden in der Schule in zwei Klassen circa 55 Kinder betreut, vom Kindergartenalter bis zu Jugendlichen. Sie erhalten täglich eine warme Mahlzeit und haben Zugang zu kostenlosen Schulmaterialien. Eine Hausaufgabenbetreuung vor und nach dem Unterricht ergänzt das Angebot vor Ort. Außerdem wurde 2018 das Open-Doors-Stipendienprogramm ins Leben gerufen, das jedes Jahr bis zu fünf bedürftigen Schulabsolventen ein Studium ermöglicht. Erwachsenen stehen die Räume im Schulprojekt ebenfalls zur Verfügung, für Veranstaltungen oder Kurse.

2021 wird auch ein namibisches Vereinspendant gegründet und der Startschuss für ein neues Projekt gegeben: das Open Doors Education Centre, ein (Weiter-)Bildungszentrum für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, mit Suppenküche und eigenem Gemüsegarten. Volkan Sazli zieht im gleichen Jahr ganz nach Namibia, denn alles sei einfacher, wenn man vor Ort ist.

Tischlerei als Einnahmequelle: Steps for Children soll sich mittelfristig selbst tragen. Foto: Steps for Children.

Von Hürden und Erfolgen

Die Bürokratie ist das erste Schlagwort, wenn es um die Hürden bei der Gründung der Organisationen geht. „Man braucht Fachleute, um eine Stiftung zu gründen“, gibt Michael Hoppe zu bedenken. „Schon beim Stiftungszweck geht es los – wie formuliere ich den richtig, damit er mir einen passenden, nicht zu engen Rahmen für meine Arbeit gibt?“ Eine Vereinsgründung sei zwar einfacher, sagt Volkan Sazli. „Aber ich würde jedem raten, der sich ähnlich wie ich engagieren möchte: Such dir ein Projekt, an das du andocken kannst, gründe nicht selbst. Das kostet Zeit, Geld und Geduld, und ich wusste es damals einfach nur nicht besser.“ Das Andocken ist auch für Hoppe die perfekte Alternative. Man müsse sich vor Gründung sehr konkret Gedanken darüber machen, ob wirklich genügend Zeit, Geld und Empathie für so ein Projekt vorhanden sei, denn wenn man es richtig machen wolle, sei es mehr als ein Vollzeitjob – eine Lebensaufgabe.

An die Mentalität der Namibier müsse man sich gewöhnen, erzählt der Ex-Unternehmer. Es gehe alles langsamer und nicht ganz so zuverlässig vonstatten, wie man es vor allem aus Deutschland gewohnt sei, das sei schon manchmal frustrierend. So manches sei deshalb gescheitert, doch man stehe immer wieder auf und fange dann eben von vorne an. Es dauere lange, bis Vertrauen aufgebaut ist, in beide Richtungen.

„Ich glaube, wir Jungen sind da entspannter“, lacht Sazli. „Wir versuchen einfach, das Beste aus allem zu machen, und über Hürden spreche ich sowieso nicht gerne. Jede Herausforderung ist für uns die Möglichkeit, etwas zu lernen, also irgendwie auch positiv.“ Diese Einstellung helfe über vieles hinweg. Das Thema Vertrauen sieht er aber als ebenso wichtig an. Ohne würde das meiste einfach nicht funktionieren.

Als Erfolg werten beide Entwicklungshelfer das Wachstum ihrer Organisationen von kleinen Ideen zu Projekten mit großem sozialem Impact. Sazli stellt dabei das neue Bildungszentrum in den Vordergrund: 1,2 Millionen Euro mussten eingesammelt werden, und nach sechs Monaten intensiver Fundraising-Arbeit ist die Finanzierung nun gesichert. Wenn alles gut läuft, soll der Bau des Zentrums im Herbst 2022 beginnen.

Fundraising trifft auf Unternehmens­gewinne

Um ihre Arbeit in Namibia zu finanzieren, gehen die Organisationen nahezu die gleichen Wege: Für beide steht das Fundraising im Vordergrund, vor allem wenn es um größere Projekte wie das Education Center geht. Tangeni Shilongo Namibia finanziert sich außerdem aus den Mitgliedsbeiträgen im Verein und natürlich auch Spenden, die nicht auf Fundraising-Aktionen beruhen. Auf lange Sicht soll das Kursangebot für Erwachsene im Education Centre die Lehrergehälter und Unterhaltskosten nahezu vollständig abdecken. Außerdem arbeitet man etwa mit Lebensmittellieferanten vor Ort zusammen, die der Suppenküche günstigere Preise anbieten, das Schulmaterial wird von Firmen gespendet.

Steps for Children möchte sich wiederum langfristig von Spenden lösen – hier ist der Wunsch, dass die Einkommen erzielenden Steps den Unterhalt der Bildungseinrichtungen der Organisation finanzieren können. Bis dahin betreibt Michael Hoppe wie Volkan Sazli aktives Fundraising.

Helfen? Nur mit Netzwerk

„Ein perfektes Netzwerk ist für mich, wenn ich eine Idee habe und sofort weiß, wen ich anrufen muss, wenn ich einen Experten für eine bestimmte Aufgabe brauche“, so Sazlis Definition. In die gleiche Kerbe schlägt auch Michael Hoppe und ergänzt: „Die Leute sollten genauso bereit sein, sich für die Sache einzusetzen, wie ich es tue, dann kann ich mich auf die Ergebnisse verlassen.“ Gute fünf Jahre dauere es, bis ein solches Netzwerk aufgebaut ist, erzählt er aus Erfahrung. Für Sazli ist es bei seiner Arbeit außerdem unerlässlich, dass er die Menschen vor Ort im Boot hat. Das funktioniere aber nur, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Im Gegensatz zu einigen anderen Organisationen habe er immer die volle Unterstützung der Stadtverwaltung und der Gemeindemitglieder gehabt, und die Gründung des namibischen Vereins habe das Vertrauen weiter gestärkt. „Wir gehören jetzt einfach zur Gemeinschaft dazu“, sagt er. „Das öffnet Türen – und Herzen.“

Schüler in den Räumen von Tangeni Shilongo Namibia. Foto: Tangeni Shilongo Namibia.

Was aber beiden fehle, ist die Bereitschaft der einzelnen Organisationen zusammenzuarbeiten. Auf dieser Ebene gebe es eben gar kein Netzwerk, was nicht nur unverständlich, sondern im Grunde auch unsinnig sei. „Wir wollen doch alle das Gleiche, warum müssen wir denn neben- oder sogar gegeneinander arbeiten?“, fragt Sazli. Er habe dabei das Gefühl, dass vor allem die älteren, etablierteren Organisationen sich der Vernetzung verschließen. Dabei wären ein Erfahrungsaustausch und auch gemeinsame Projekte mit Sicherheit so manches Mal zielführender.

Die Zukunft? Hier klar, dort ungewiss

Tangeni Shilongo Namibia e.V. befindet sich auf klarem Wachstumskurs. Sazlis Vision: Die Hilfsorganisation so weit auszubauen, dass es in Namibia genug Bildungsangebote für alle benachteiligten Kinder und Jugendliche gibt. Das Ziel scheint groß, doch Sazli ist noch nicht einmal 30 und hofft, dass sein Funke noch auf viele Menschen überspringt. „Wir sind doch das beste Beispiel dafür, dass man als kleines Team viel erreichen kann.“

Bei Hoppe ist der Tenor ein anderer. In den nächsten drei bis fünf Jahren würde sich der Stifter gerne langsam zurückziehen, doch eines fehlt: die Nachfolge. „Wer sich engagieren will, gründet lieber selbst einen Verein oder eine Stiftung auf Basis seiner eigenen Vorstellungen“, erklärt er. Das sei zwar verständlich, könne aber zu so schwierigen Situationen wie eben jetzt bei Steps for Children führen: Trotz intensiver Suche sei noch niemand in Sicht, der seinen Stuhl, seine Verantwortung und sein Engagement übernehmen wolle. Dabei wäre nur die Position des Vorstandes ehrenamtlich, ein Geschäftsführer oder Fundraiser könnte auch bezahlt werden. Sogar Volkan Sazli habe er gefragt, doch dieser hat abgelehnt. „Ich bin mit meinem Verein voll ausgelastet, da bleibt keine Zeit, sich um ein weiteres Projekt so zu kümmern, wie es dies verdient hätte“, sagt der Vereinsgründer. Doch eines lerne er daraus: Dass er das Thema Nachfolge schon in wenigen Jahren angehen, jemanden lokal aufbauen muss, dem er sein Lebenswerk eines Tages übergeben kann. Der das gleiche Ziel vor Augen hat: Kindern in Namibia einen fairen Zugang zur Bildung zu bieten.

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