Mikrofinanzfonds verstehen sich als Investmentinstrument mit sozialem Auftrag. Sie versorgen über Finanzinstitute Kleinunternehmer rund um den Globus mit Liquidität. Was die Corona-Pandemie für den Sektor und die in der Entwicklung befindlichen Länder bedeutet, erläutert Michael P. Sommer im Interview.

Wie hat sich die Krise auf den Mikrofinanzbereich ausgewirkt, Herr Sommer?
Michael P. Sommer: Die Gesundheitskrise ist in allen unseren Zielmärkten angekommen. Der zeitliche Ablauf und die Intensität wie auch die Bekämpfung der Pandemie sind allerdings sehr unterschiedlich – ebenso das Regierungshandeln. Es reicht von einem Ignorieren bis zu totalen Lockdowns. Jedes Mikrofinanzinstitut (MFI) befindet sich in einer eigenen Situation. Manche sind sehr hart getroffen, andere weniger. Auch innerhalb eines Landes kann die Lage sehr unterschiedlich sein, abhängig davon, in welchen Bereichen oder Regionen das MFI arbeitet. Die Folgen der Pandemie werden uns noch auf Jahre beschäftigen, mindestens die wirtschaftlichen Folgen. Gerade deshalb ist Entwicklungsfinanzierung künftig wichtiger denn je.

Das liegt vermutlich auch an den schwierigeren Voraussetzungen als etwa in Europa.
Sommer: Ja, in Entwicklungsländern haben Regierungen oft nicht die Möglichkeiten, wie wir sie in Europa haben. Es sind nicht dieselben Unterstützungsleistungen möglich, daher hat sich die Gesundheitskrise sehr schnell zu einer Wirtschaftskrise entwickelt. Es gibt in der Regel keine Kompensationszahlungen, höchstens die Möglichkeit, Tilgungsleistungen zu verschieben. Wenn Menschen nicht mehr ihrem Beruf nachgehen können, trifft dies mangels persönlicher Rücklagen insbesondere die kleinen Selbständigen im informellen Sektor – also die ökonomisch Armen. Häufig gibt es keine verlässlichen Zahlen, zu wenig Testmöglichkeiten und Labore, eine schlechte medizinische Infrastruktur oder aber auch eine andere Prioritätensetzung: So gibt es Länder, in denen sich die Menschen mehr Sorgen um Dengue-Fieber, Cholera, Malaria und das tägliche Überleben machen und darunter leiden.

Was bedeutet die Lage für die Mikrofinanzinstitute, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Sommer: Unsere Kunden, die wir refinanzieren, sind unterschiedlich von den Lockdowns betroffen. Zum Teil mussten sie, zumindest vorübergehend, ihre Geschäftstätigkeit einstellen oder Filialen schließen. Zins- und Tilgungseingänge der Endkunden blieben aus, sodass sehr schnell Liquiditätsprobleme entstanden. Man kann sich das leicht vorstellen: Wenn eine Mikrofinanzinstitution in Peru Taxifahrern das Auto finanziert, aber die Wirtschaft darniederliegt, hat der Fahrer keine Einnahmen und kann Raten nicht bezahlen. Dem MFI brechen die Zins- und Tilgungsleistungen ihrer Kunden weg. Dies hat dann gravierende Auswirkungen auf die Themen Rückstellung, Portfolioqualität und das Betriebsergebnis.

„Wir betreiben Risikogeschäft in Hochrisikoländern.“
Michael P. Sommer

Wie haben Sie reagiert?
Sommer: Wir haben gemeinsam mit anderen Refinanzierern in intensiven, langen Telefonkonferenzen nach Lösungen zur kurzfristigen Überwindung dieser Situation gesucht. Auch wenn wir alle durchaus im Wettbewerb miteinander stehen, war klar, dass wir den Mikrofinanzinstituten eine Chance geben müssen, durch dieses – hoffentlich temporäre – Tal hindurchzukommen. Daher haben wir in vielen Fällen pragmatische Agreements vereinbart. Diese beinhalten zum Beispiel die zeitlich befristete Duldung des Bruchs oder die Anpassung der jeweils vertraglich vereinbarten Risikoindikatoren, um zu verhindern, dass unmittelbar ein Ausfall eintritt, sobald ein Indikator coronabedingt nicht eingehalten wird. Wir haben Tilgungen ausgesetzt oder verschoben – wir sprechen hier von Zeiträumen zwischen drei und zwölf Monaten, je nach Land, Kunde und Branche. Alles vor dem Hintergrund der Annahme, dass mit der Wirtschaft auch die Mikrofinanzmärkte wieder anlaufen werden. Wir haben auch vereinbart, vor Ablauf der Fristen zu klären, ob es eine Verlängerung braucht. Auch hier ist die Lage sehr unterschiedlich. Die ersten MFI haben bereits ihre Tilgungszahlungen wieder aufgenommen. Bislang haben wir noch keine Insolvenz in unserem Kundenkreis aufgrund von Corona. Gleichwohl glauben wir, dass es in Einzelfällen zu Restrukturierungsmaßnahmen kommen wird.

Wie haben Sie auf der Anlageseite reagiert? Was macht der Fonds?
Sommer: Wir haben unsere Investmenttätigkeit derzeit eingeschränkt. Zum einen mussten viele Kunden ihr Kreditportfolio runterfahren und brauchen keine Wachstumsfinanzierung. Zum anderen ist die finanzielle Analyse eines Finanzierungsantrags oft schwierig, da zum Beispiel die Kunden aufgrund der vielen unwägbaren Faktoren seriöserweise keine valide Mehrjahresplanung vorlegen können. Wir fahren einen sehr konservativen Ansatz – immerhin betreiben wir Risikogeschäft in Hochrisikoländern. Gleichwohl ist ein verantwortungsbewusstes Investieren auch unter den derzeit gegebenen Umständen nicht nur nötig, sondern auch möglich. Dies machen wir. Seit April nehmen Sie keine neuen Gelder mehr an.

Wie lange wird das so bleiben?
Sommer: Trotz Krise fließen in unsere Fonds regelmäßig Zins- und Tilgungsleistungen. Da wir aber nur begrenzt investieren, nehmen wir derzeit im Interesse unserer Bestandsanleger keine Neuzeichnungen entgegen. Damit soll die Liquidität in den Fonds nicht zu groß werden. Zunächst galt dies bis Ende September 2020. Wir beobachten ständig die Entwicklungen und werden die Fonds, sobald die Liquidität wieder auf Normalniveau ist, wieder für Neuzeichnungen öffnen. Noch ist nicht absehbar, wann dies der Fall sein wird.

Wie schätzen Sie aktuell das Risiko ein? 
Sommer: Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen haben zu Unwägbarkeiten geführt, die natürlich auch für Mikrofinanzfonds ein begrenzt erhöhtes Risiko bedeuten. Begrenzt deshalb, weil die Fonds aufgrund der vorsichtigen Anlagepolitik, einer guten Diversifikation und des Geschäftsmodells Mikrofinanz auch in der Krise erstaunlich stabil sind. Wir haben sehr frühzeitig das absehbare Risiko „eingepreist“. Dies geschah in Absprache mit unseren Wirtschaftsprüfern im Wege eines „Overrulings“, indem wir die Spreads der Staatsanleihen berücksichtigt haben. Denn die tatsächlichen Zahlen der Mikrofinanzinstitute spiegelten die Auswirkungen der Pandemie ja erst Monate später wider. Dies hat im März zu einer begrenzten negativen Wertentwicklung geführt – inzwischen liegen unsere Fonds auch year-to-date längst wieder im positiven Bereich.

Wie steht es grundsätzlich um die Vergleichbarkeit von Mikrofinanzfonds?
Sommer:
Im Bereich der Bewertung gibt es für die Assetklasse Mikrofinanz keinen einheitlichen Industriestandard, sodass man ehrlicherweise derzeit die Mikrofinanzfonds in ihrer Performance nicht unmittelbar vergleichen kann. Hier kann die Krise ein Impuls sein: Wir – wie auch einige Mitbewerber – wollen nach der Krise einen Anlauf unternehmen, für alle sich am Markt befindlichen Mikrofinanzfonds einen einheitlichen Bewertungsstandard zu vereinbaren.

Wie sieht die weitere Entwicklung aus Ihrer Sicht aus?
Sommer: Wie erwähnt liegen wir aktuell gegenüber dem Jahresanfang im Plus. Ich persönlich glaube, dass diese Krise zu einer Delle in der Wertentwicklung führen wird, aber auf Dauer sind wir zutiefst davon überzeugt, dass die Mikrofinanzfonds auch zukünftig ihren Platz in einem gemischten Portfolio haben werden. Sie haben eine stabilisierende Wirkung aufgrund ihrer geringen Volatilität und sind in sozialer Hinsicht wichtiger denn je zur Armutsbekämpfung nach Krisen. Letztendlich dient Entwicklung auch uns selbst.

Welche Reaktionen haben Sie von den Investoren des Fonds erhalten?
Sommer: Sehr positive. Wir haben aus unseren Fonds coronabedingt keine Abflüsse. Unsere Investoren sehen ja, wie erratisch die anderen Assetklassen sich bewegen. Darüber hinaus wissen unsere Anleger, dass eine Anlage in Mikrofinanz immer längerfristig Bestand haben sollte. Im Übrigen wird mit einer Zeichnung in Mikrofinanz auch soziale Verantwortung übernommen – diese zeigt sich dann auch in der Krise. Wir spüren dies sehr deutlich bei unseren Kunden.

Sie erwarten nach der Pandemie erhöhte Nachfrage. Wird die Liquidität da ausreichen?
Sommer: Erhöhte Nachfrage einerseits – aber auch ein erhöhtes Angebot auf der Investorenseite. Inwieweit sich das auf die Margen und Risikoaufschläge niederschlägt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Da gibt es sehr viele Einflussfaktoren. Im Hinblick auf die Liquidität in den Fonds sehe ich da keine Schwierigkeiten. Die Nachfrage nach einer Geldanlage in die nachhaltige Assetklasse Mikrofinanz ist vorhanden, und als Fondsmanager sind wir mit dreizehn Jahren Expertise gut aufgestellt, um den immer neuen Anforderungen aus den Märkten adäquat zu begegnen. Weshalb ich für den Mikrofinanzbereich sehr optimistisch gestimmt bin.

Gibt es Konsequenzen, die Sie aus der Krise ziehen? Werden Sie andere Schwerpunkte bei Mikrofinanzinstituten setzen?
Sommer: Jede Krise beinhaltet auch die Chance, noch besser zu werden. So haben Refinanzierer und Mikrofinanzinstitutionen in der Finanzkrise gelernt, dem Thema der offenen Währungspositionen mehr Bedeutung beizumessen. Ich bin sicher, dass nach Überwindung der jetzigen Krise es auch Themen geben wird, die neu zu bewerten sein werden.

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