Ein Hacker ist jemand, der versucht, einen Weg zu finden, wie man mit einer Kaffeemaschine Toast zubereiten kann, hat Herwart Holland-Moritz einmal definiert. Er stellte das Spielerische und die Neugier auf Technologie in den Mittelpunkt des Hackens: Technik zerlegen, verstehen und wieder neu zusammensetzen. Jemand, der Technik versteht, hat aber auch die Möglichkeit, diese zu manipulieren. Weil es Hacker gibt, die ihr Technikverständnis nutzen, um sich illegal Zugang zu Computersystemen zu verschaffen, wird der Begriff Hacker heute meist für Kriminelle verwendet, die im Internet ihr Unwesen treiben. Dabei sahen die Pioniertage des Hackens ganz anders aus.
Holland-Moritz – seit seiner Pfadfinderzeit „Wau Holland“ genannt – war ein Vorreiter in Sachen Computer, Technologie und Hacking. 1981 war er mit 29 Jahren Mitgründer eines der ältesten Hackerclubs Deutschlands: des „Chaos Computer Clubs“ (CCC) in Hamburg. Außerdem schrieb Wau Holland für dessen Magazin, „Die Datenschleuder“, sowie für die Tageszeitung Taz über technologischen Wandel. Holland-Moritz hielt auch Vorträge über Informationskontrolle und thematisierte damit frühzeitig eine Frage, die heute deutlich brisanter ist als zu Gründungszeiten des CCC: Wer hat Zugriff auf welche Informationen?
Wau Holland kritisierte staatliche Autorität, totalitäre Strukturen und Zensur und stand anarchistischen Ideen nahe. An Podiumsdiskussionen nahm er gerne als „DR Wau Holland“ teil, was meist als Doktortitel interpretiert wurde – Holland hingegen erklärte, dass „DR“ für einen „Datenreisenden“ stehe: einen Menschen also, der sich durch Rechnernetze bewegt. Er betonte die Freiheit und Verantwortung jedes Einzelnen in der Gesellschaft und übertrug seine Wertvorstellungen auch auf den CCC, der möglichst hierarchielos, als Zusammenschluss von eigenverantwortlich handelnden Menschen funktionieren sollte. Neben der antiautoritären Position war Holland-Moritz’ Hacken eingebettet in eine „Hacker-Ethik“: Computer, Technologie und Informationen sollten frei zugänglich sein, private Daten hingegen geschützt werden. Ein weiterer Grundsatz der Ethik lautet: „Misstraue Autoritäten – fördere Dezentralisierung.“
Bernd Fix, ein langjähriger Freund Holland-Moritz’ und Gründungsvorstand der Wau-Holland-Stiftung, sagt: „Wau war für Bürokratie, Politik, Computerfirmen sowie auch für die meisten Menschen ein unbequemer Zeitgenosse, weil er hartnäckig seine Ideale vertreten hat.“
Der 134.694 D-Mark teure Hack
Fix, der selbst ein bekannter Hacker und IT-Experte ist, lernte Wau Holland Mitte der 80er Jahre kennen. 1984 war Holland-Moritz bereits durch den sogenannten BTX-Hack in die Medien gelangt. Der Bildschirmtext „BTX“ war ein Informationsdienst der Deutschen Bundespost an der Schnittstelle zwischen Telefon und Computer, der teils kostenpflichtige Inhalte zeigte. Holland-Moritz und ein weiteres CCC-Mitglied luden den Hamburger Datenschutzbeauftragten und Medienvertreter ein, um live zu demonstrieren, dass der Dienst BTX nicht sicher ist. Die Hacker hatten die Einwahldaten der Hamburger Sparkasse herausgefunden und ließen ein selbst entwickeltes Computerprogramm eine BTX-Seite des CCC aufrufen. Jeder Seitenaufruf kostete die Hamburger Sparkasse rund zehn D-Mark. Innerhalb kurzer Zeit entstanden für die Sparkasse so Kosten in Höhe von 134.694 D-Mark – zu zahlen an den CCC. Das Geld musste die Sparkasse dem Verein nicht überweisen, den Hackern ging es darum, die Sicherheitslücken des Informationsdiensts aufzuzeigen.
Eine Hacker-WG
Auch Bernd Fix war von früh auf technikbegeistert. „Ich habe damals schon gehackt – ich wusste nur nicht, dass man es so nennt“, sagt Fix. „Gehackt habe ich, weil es spannend war, weil ich wissen wollte, wie die Technik funktioniert.“ Er habe damals ein Mailbox-System der Post gehackt. „Ich bin in dieses System eingedrungen und dachte: ‚Das interessiert auch andere.‘“ Da er vom CCC bereits gehört hatte, fuhr Fix von Heidelberg nach Hamburg und suchte den CCC auf, der in der Wohnung von Wau Holland untergebracht war.
Fix und Holland-Moritz freundeten sich an und zogen später in eine Hacker-WG in Heidelberg. „Das hat bis 89 gehalten. Dann kam die KGB-Geschichte“, sagt Fix. In dem sogenannten KGB-Hack hatten ein paar junge Männer aus dem CCC durch Hacking erlangte Informationen an den sowjetischen Geheimdienst durchgestochen. „Daran ist der Club zerbrochen. Wau war entsetzt, dass Leute aus dem CCC für Geheimdienste arbeiten“, sagt Fix. Geheimdienste seien dem antiautoritären Holland-Moritz immer ein Ausdruck von Überwachung und staatlicher Repression gewesen.
Satellitenschüsseln aus Kronkorken
Der Kontakt zwischen Fix und dem zehn Jahre älteren Holland-Moritz wurde unregelmäßiger. Ab 1989 hielt Wau Holland an der Universität Ilmenau in Thüringen Vorlesungen zu „Informationsethik“. Daneben könne er aber die Finger nicht vom Basteln lassen, erklärt er in einem Fernsehbeitrag aus dem Jahr 1995. So baute er in dieser Zeit eine funktionsfähige Satellitenschüssel aus Bauschaum und Kronkorken und beschäftigte sich mit Amateurfunk.
Holland-Moritz schlug sich als Lebenskünstler durch. Er lebte meist ohne feste Anstellung, ohne Krankenversicherung. 2001 bahnte sich ein Umbruch an: Holland-Moritz wollte mit 49 Jahren einen Job in der Firma eines Freundes in Bielefeld annehmen. So weit kam es aber nicht: Kurz nach seiner Ankunft in Bielefeld starb Holland-Moritz an den Folgen eines Schlaganfalls.
Die Wau-Holland-Stiftung wurde 2003 errichtet. Das Stiftungskapital gaben Wau Hollands Vater und seine Tante hinzu, der fünfköpfige Vorstand besteht aus engen Freunden des Hackers, die seit den 80er Jahren im CCC aktiv sind. „Fasziniert hat uns die Idee, dass eine Stiftung nie aufhört, ewig weiterlebt“, sagt Fix. „Außerdem wollten wir etwas Eigenes, Unabhängiges vom CCC.“
Die Stiftung soll das antiautoritäre, humanistische Handeln Wau Hollands fortsetzen. So steht es auch in der Satzung: „Die Stiftung führt das couragierte Wirken Wau Hollands gegen totalitäre Strukturen und für bedingungslose Durchsetzung der Menschenrechte fort, um das friedliche Zusammenleben der Völker zu stärken.“ In den Projekten der Stiftung geht es um freie Kommunikation und informationelle Selbstbestimmung, also die Möglichkeit, bestimmen zu können, welche Informationen über eine Person digital im Umlauf sind. So forschte das Projekt „Youbroketheinternet“ an Alternativen zum Internet, die dezentral aufgebaut sind, in denen Informationen nicht durch zentrale Punkte der Infrastruktur geleitet werden müssen. „Technische Alternativen gab es immer“, kommentiert Fix. „Aber: Wie bringt man die Leute dazu, zu wechseln?“
In ihrem Projekt „Alpha-BIT-isierung“ bringt die Stiftung Schülern bei, mit Lötkolben und Computern umzugehen. Ohnehin wächst die Hackerszene: Früher seien es einige hundert Hacker gewesen, die auf den Tagungen des CCC zusammenkamen, schätzt Fix. Heute kämen bis zu 15.000 Besucher, der Club habe an die 8.000 Mitglieder. Folglich sei die Heterogenität größer. Die Hacker-Ethik aus den frühen Tagen des CCC aber habe dadurch an Verbindlichkeit eingebüßt. „Früher war zum Beispiel das, was wir die Hacker-Ethik nannten, etwas ganz Wichtiges“, sagt Fix. „Heute kannst du Cyberkrieger bei einer Abteilung der Bundeswehr und im CCC sein, das widerspricht sich nicht mehr.“