2023 sind in Deutschland 637 Stiftungen entstanden. Der Sektor wächst stabil weiter, allerdings unter veränderten Vorzeichen: Der Anteil gemeinnütziger Gründungen ist bei den Neugründungen deutlich zurückgegangen, privatnützige Familienstiftungen machten im vergangenen Jahr fast die Hälfte der neuen Organisationen aus.

637 neue Stiftungen sind 2023 in Deutschland entstanden. Der Wert aus einer Erhebung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen liegt eher am unteren Ende der Skala seit 2000. Sie bewegt sich zwischen den Extremwerten von 549 Gründungen 2017 und 1134 im Jahr 2007. Der Durchschnitt liegt bei rund 763 Stiftungen im Jahr, der Median bei 784. Damit geht das Nettowachstum des Sektors weiter, die Zahl der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts liegt bei 25.777 – ein Plus von 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wachstumsseitig fällt das Gewicht von Deutschlands Osten im Stiftungssektor deutlich höher aus als beim bundesweiten Bestand. Das durchschnittliche Stiftungsnettowachstum lag hier bei rund 3,8 Prozent – ausgenommen Berlin, das extra betrachtet wird, in den westlichen Bundesländern lag es bei rund 1,9 Prozent. Während 22.793 der Stiftungen (88,4 Prozent) ihren Sitz in den westdeutschen Bundesländern haben, sind es im Osten der Republik 1.903. Das entspricht 7,4 Prozent, und damit sind es auf den Bevölkerungsanteil gerechnet in etwa halb so viele wie im Westen. Berlin macht bundesweit 4,2 Prozent oder 1.081 Stiftungen aus.

„Das Interesse ist groß, auch wenn wir gar nicht vertieft zu Familienstiftungen beraten.“
Verena Staats, Leiterin Recht und Vermögen, Bundesverband Deutscher Stiftungen

Ein Trend setzt sich fort: Von den 637 Neugründungen des Jahres 2023 waren 351 gemeinnützig und 286 privatnützige Familienstiftungen. Dies entspricht einem Verhältnis von ungefähr 55 zu 45 Prozent. Gerade bei den Familienstiftungen ist laut Bundesverband in den vergangenen Jahren ein überdurchschnittlicher Anstieg zu beobachten gewesen. Im Bestand bleiben sie eine Minderheit: Rund 90 Prozent der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts sind demnach steuerbegünstigt, verfolgen also gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke. 2019 standen 428 gemeinnützige Neugründungen 148 privatnützigen gegenüber. 2020 verdoppelte sich der privatnützige Anteil fast auf 284, der gemeinnützige Anteil blieb konstant, Familienstiftungen haben diesen Gründungswert seither nicht mehr unterschritten.

Varianten der Familienstiftung

„Die Zunahme der Familienstiftungen spiegelt wider, was wir im Bundesverband an Anfragen erhalten“, sagt Verena Staats, Leiterin Recht und Vermögen. „Das Interesse ist groß, auch wenn wir gar nicht vertieft zu Familienstiftungen beraten. Wir wissen daher auch nicht, wie viele von den Anfragen, die uns erreichen, tatsächlich in Gründungen münden und wie diese im konkreten Einzelfall aufgestellt sind.“

Grundsätzlich seien diese genauso heterogen aufgestellt wie auch die gemeinnützigen Stiftungen, es gebe durchaus auch Familien, die sowohl eine gemeinnützige als auch eine privatnützige Stiftung, jenseits von den sogenannten Doppelstiftungsmodellen, gründeten. Daneben gewönnen auch die sogenannten gemischten Familienstiftungen, die privatnützige und steuerbegünstigte Zwecke kombinieren, an Beliebtheit. „Manchen Familienstiftungen ist jedenfalls teilweise eine ‚Gemeinwohlorientierung‘ durchaus inhärent, verwalten sie doch oft Wald, Kulturgüter oder kümmern sich um die Ausbildung von bedürftigen Angehörigen“, sagt Staats. Entsprechend hätten manche Bundesländer auch ein gesteigertes Interesse daran, solche Stiftungen nicht aus der staatlichen Aufsicht zu entlassen oder diese zu reduzieren. „Wenn sie einen öffentlichen Zweck verfolgen, unterliegen sie in Bayern zum Beispiel auch der allgemeinen Rechtsaufsicht.“

Für den Bundesverband ist dieser Bereich eher ein Nebenaspekt. „Kern unseres Selbstverständnisses ist die Förderung des gemeinnützigen Stiftungswesens und des bürgerschaftlichen Engagements“, sagt Generalsekretärin Friederike von Bünau. „Damit gehören zu unseren Zwecken neben der Förderung der Bildung und Wissenschaft auch die Förderung des gemeinwohlorientierten Stiftungswesens. Auch Familienstiftungen können daher Mitglied im Bundesverband sein, obwohl ihre Anzahl bei uns doch sehr gering ist.“

„Stiftungen bleiben attraktiv, letztlich geht es um ein nachhaltiges Wachstum, auch wenn die Zahlen nicht mehr so stark steigen wie in der Vergangenheit.“
Friederike von Bünau, Generalsekretärin, Bundesverband Deutscher Stiftungen

Aus Sicht von Bünaus erlebt der Sektor eine gesunde Konsolidierung. „Stiftungen bleiben attraktiv, letztlich geht es um ein nachhaltiges Wachstum, auch wenn die Zahlen nicht mehr so stark steigen wie in der Vergangenheit“, sagt sie. Die Informationsmaterialien über Zu- und Zusammenlegung, die der Bundesverband seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt, würden gut nachgefragt. Der Bundesverband hatte sich im Rahmen der 2023 in Kraft getretenen Stiftungsrechtsreform für die Schaffung entsprechender bundeseinheitlicher Regelungen erfolgreich eingesetzt. „Einige Stiftungen beschäftigten sich bereits mit diesen Möglichkeiten. Ich gehe davon aus, dass sich dies auch in den kommenden Jahren in unseren Umfragen zum Bestand der rechtsfähigen Stiftungen niederschlagen wird.“

Zur Konsolidierung gehört auch, dass Gründungen mit Kleinstkapitalmengen zurückgehen. Hessen etwa setzt inzwischen für gemeinnützige 100.000 Euro und für Familienstiftungen 150.000 Euro Kapital voraus, der Bundesverband nennt bewusst keine Mindestsumme. „Letztlich kommt es darauf an, wie gut eine Stiftung mit dem Stiftungskapital ihre Ziele umsetzen kann. Zudem darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass Stifter oder Stifterinnen häufig nach der Gründung Beträge hinzugeben oder später weitere Werte vererben“, sagt von Bünau.

„Euphorie der Nullerjahre“

Stiftungsberater Karsten Timmer betrachtet die Entwicklung als folgerichtig. „Vor 15 Jahren waren 95 Prozent der rund 1.100 Gründungen gemeinnützig. Aber darunter waren viele Gründungen, die eigentlich keine Stiftung hätten sein sollen“, sagt er. „Die Banken, der Sektor – in den Nullerjahren waren alle euphorisch, so dass viele Menschen Stiftungen gegründet haben, die eigentlich zu klein oder zu wenig nachhaltig waren.“ Die steuerliche Privilegierung bis zu einer Million Euro Stiftungskapital sei zudem ein Sündenfall gewesen, der dazu geführt habe, dass viele Stiftungen mit großen Hoffnungen, aber mit wenigen Mitteln entstanden sind. „Jedes Stadttheater, jedes Hilfswerk hat seine Stiftung gegründet.“

„Die 300 gemeinnützigen Stiftungen, die heute gegründet werden, sind dann hoffentlich diejenigen, bei denen sich die Rechtsform aufdrängt.“
Karsten Timmer, Stiftungsberater

Nun finde die Rechtsform der Stiftung bürgerlichen Rechts „ein Stück weit in die Nische zurück, aus der sie kommt“. Vieles im gemeinnützigen Sektor fände inzwischen außerhalb der Rechtsform statt. Die Lesart müsse daher nicht negativ ausfallen: „Die 300 gemeinnützigen Stiftungen, die heute gegründet werden, sind dann hoffentlich diejenigen, bei denen sich die Rechtsform aufdrängt.“ Was wiederum zu niedrigeren Liquidationsraten und mehr Stabilität im Sektor führen würde.

Stiftergeist ohne Stiftung

Er habe zahlreiche Menschen erlebt, die in der Vergangenheit in ihren Überlegungen, sich für die Gesellschaft einzusetzen, automatisch an die Stiftung gedacht hätten, so Timmer. „Sie haben andere Lösungen gewählt – obwohl sie alle über sich sagen würden, dass sie Stifter oder Stifterinnen sind. Nur eben in anderer Form.“ Ein sehr häufig gewähltes Modell sei die Treuhandstiftung, die mit einem kleineren Vermögen ausgestattet wird und jährliche Zuwendungen erhält. Oder auch lose Formen von Engagement. „Eine wohlhabende Familie hat zum Beispiel einfach ein Depot eingerichtet, in das jedes Mitglied einen Beitrag x einzahlt. Die Erträge aus dem Depot werden für gemeinnützige Projekte ausgeschüttet – ohne Register, Vorgaben, Berichte oder Stiftungsaufsicht.“

Auch eine Beratung beim Bundesverband muss nicht in die Errichtung einer eigenen rechtsfähigen Stiftung münden, so Staats. „Wir zeigen auch Alternativen auf, um das Passende zu finden. Sei es eine Treuhandstiftung, ein sogenannter Stiftungsfonds oder eine zweckgebundene Spende. Auch beraten wir über Zustiftungen und bieten mit unserer Stiftungssuche ein Recherchetool für Interessierte.“ Und die Alternativen werden nicht weniger. „Die gemeinnützige GmbH hatte in der Vergangenheit zum Beispiel keinen so guten Ruf, obwohl sie mir zum Beispiel gut geeignet schien für mittelfristige Kooperationsprojekte“, sagt Staats. „Das hat sich meiner Erfahrung nach spätestens mit der Möglichkeit verändert, dass die gemeinnützige GmbH sich offiziell mit dem kleinen ‚g‘ abkürzen darf.“ Bei allem Engagement für die Stiftung sei es auch für den Sektor positiv, wenn eine möglichst geeignete Rechtsform genutzt werde, je nach Bedarf.

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