Die Nele-Neuhaus-Stiftung verfügt über einen bekannten Namen und ein wachsendes Vermögen. Vorstand Matthias Knöß hat sich die Professionalisierung auf die Fahnen geschrieben. Und plant schon seinen Ausstieg.

Der Name ist geblieben, doch das Profil der Nele-Neuhaus-Stiftung hat sich seit Gründung 2011 verändert – und ist weiter dabei, sich zu verändern. Der heutige Vorsitzende Matthias Knöß hat gewissermaßen in die Stiftung eingeheiratet. Errichtet hatte sie die Schriftstellerin Nele Neuhaus, bekannt für Krimis rund um den Taunus, in ihrer vorherigen Partnerschaft. Der Zweck passt zu Neuhaus’ Arbeitsmedium: Leseförderung.

Für den 1966 geborenen Ex-Banker kein ganz neues Feld, aber doch eine neue Perspektive. Zuvor habe er Stiftungen vor allem mit Blick auf die Anlageseite gekannt, nicht aber als Gremienmitglied. „Ich habe mich erst mal an der EBS qualifiziert und den Stiftungsmanager gemacht“, sagt Knöß über die Anfänge. Dass er Zeit hatte, lag auch am Ende seiner Karriere. „Sie endete durch einen Verkauf der Bank, bei dem ich nicht mitgehen wollte – ich hatte inzwischen Probleme mit der Branche und deren Agieren und schon länger über den Ausstieg nachgedacht. Die Entscheidung wurde mir dann aber gewissermaßen abgenommen“, sagt er und lacht.

Er vernetzte sich, unterstützt durch Roland Kaehlbrandt, den früheren Vorstandsvorsitzenden der Frankfurter Stiftung Polytechnische Gesellschaft. „Er hat mich unter seine Fittiche genommen. So habe ich viele gute Kontakte bekommen und bin in die Stiftungswelt reingewachsen – und habe festgestellt, dass sie sehr heterogen ist.“

„Wir halten viele Beschlüsse in der Geschäftsordnung fest, nicht in der Satzung.“
Matthias Knöß

Am Anfang stand in der Stiftung viel formale Arbeit. Ein Blick in die Satzung habe Verbesserungspotential zutage gefördert. „Darin waren Aspekte, von denen ich dachte, dass sie da nicht unbedingt reingehören“, erinnert er sich – zum Beispiel, dass jährlich ein Wirtschaftsprüfer attestieren musste. „Diese Kosten konnte die Stiftung mit Erträgen aus dem damaligen Grundkapital von rund 200.000 Euro kaum verdienen.“

Das Regierungspräsidium habe sich offen für Veränderung gezeigt. „Wir haben Maßnahmen mit der Aufsicht besprochen und Gremienbesetzung sowie Satzung geändert – angepasst an die Kapital- und tatsächliche Situation der Stiftung. Auch vor der Reform war es möglich, mit vernünftigen Argumenten Satzungsänderungen vorzunehmen, wenn sie der Zukunft der Stiftung dienten“, sagt Knöß. 2013 waren die Weichen gestellt: „Für mich war die eigentliche Geburt der Stiftung im Mai jenes Jahres, nicht im November 2011 bei der Gründung.“

Nicht klein, nicht groß

Die Stiftung zählt zu den kleineren, aber sicher nicht zu den kleinen Stiftungen in Deutschland – und vor allem: Sie wächst. „Wir haben mit 200.000 Euro gegründet, 100.000 Euro wurden danach zugestiftet, dazu kamen kleinere Zustiftungen von verschiedenen Unternehmen.” Inzwischen verfügt die Stiftung über rund 330.000 Euro. Dazu kommt noch ein Stiftungsfonds in Höhe von 80.000 Euro, der nicht zum Grundstock zählt. Unlängst habe er einen Erbschein unterschrieben, sagt Knöß. „Es werden weitere 450.000 Euro hinzukommen. In Form einer Immobilie und etwas Bargeld.“

900.000 Euro Stiftungskapital sind die nächste Zielmarke. Eine weitere Erbschaft in Höhe von 1,2 Millionen Euro steht aus. „Die Nele-Neuhaus-Stiftung wird eines Tages bei zwei Millionen Euro Stiftungskapital stehen“, sagt Knöß. Er ist sich der privilegierten Situation bewusst. „Wir haben mit dem Namen Nele-Neuhaus-Stiftung einen Bonus. Er wird positiv wahrgenommen.“ Ausgerechnet die Corona-­Pandemie entpuppte sich als weiterer Schubgeber. „Wir haben weit über 100.000 Euro Spenden eingesammelt. So viel wie noch nie.“ Wenn man Ideen habe und Kontakte, kriege man auch das Geld. Doch das Kapital ist aus seiner Sicht nicht das Wichtigste für Stiftungen. „Entscheidend ist, ob der Zweck relevant ist. Die Kapitalausstattung ist eine rein funktionale Sache, aber nicht der Inhalt der Stiftung. Das sind Satzung und Stifterwille.“

Und so steht alles im Zeichen der Professionalisierung – aus einem einmaligen internen Abendessen pro Jahr für Verwaltung und Projektentscheidungen sind Strukturen geworden. Was nicht bedeutet, dass das Ehrenamt abgemeldet wäre. „Unser heutiges Konzept sieht keinen Ersatz von Auslagen vor, keine Vergütung für Vorstand oder Geschäftsführer“, sagt Knöß. „Die Stiftung beherbergen wir gratis. Alles soll in Projekte gehen.“ Das Konzept „Family und Friends“, wie er es nennt, funktioniere zwar gut, aber man müsse aus Haftungsgründen Minimalanforderungen erfüllen und sich mit administrativen Zwängen auseinandersetzen – und, vor allem, für die Zukunft vorsorgen.

„Inzwischen ist das Kuratorium umbesetzt, hat neue Mitglieder, die bei Spendenakquise und Professionalisierung helfen. Es ist trotzdem noch eine freundschaftlich-familiäre Gruppierung.“ Aus dieser Konstellation habe sich ein ungeschriebenes Gesetz gehalten: dass alle Beschlüsse einstimmig fallen. „Das schafft eine Diskussionskultur.“

Knöß legt Wert auf eine Eigenschaft, die man nicht immer mit Stiftungen assoziiert: Flexibilität. „Mein Motto war, dass jede Entscheidung, die ich treffe, dem nachfolgenden Vorstand keine Eier ins Nest legen darf.“ Er sei ein großer Freund flexibler Satzungen. Je weniger drinstehe, desto besser. „Wir halten viele Beschlüsse in der Geschäftsordnung fest, aber nicht in der Satzung.“ Diese sei zwar angepasst worden, um etwas zukunftsfähiger zu sein. Aber nur so viel wie notwendig. „Das gilt auch für das Thema Anlagerichtlinien. Häufig verwirklichen sich hier Leute aus meiner früheren Branche. Aber nicht jede Stiftung braucht Vorgaben wie Harvard oder Yale. Wie konkret man werden muss, hängt auch von den Beträgen ab. Bei 400.000 Euro muss man eher noch nicht so konkret werden.“

„Vielleicht ist der Zweck eines Tages völlig irrelevant. Man muss das einmal 50 oder 100 Jahre weiterdenken.“
Matthias Knöß

Aktuell steht die Governance noch unter dem Eindruck des Stifterinnenprivilegs. „Es ist hochspannend, eine Stiftung zu leiten, deren Stifterin noch lebt. Solange sie da ist, ist sie die maßgebliche Figur in der Stiftung, besitzt im Vorstand ein Vetorecht. Das halte ich auch für gerecht“, betont Knöß. Doch wenn Nele Neuhaus und andere Gremienmitglieder nicht mehr da sein werden, stellten sich neue Fragen.

Knöß plädiert für Spielräume, zugleich aber für Transparenz. „Stiftungen sind heterogene, zivilgesellschaftliche Organisationsformen. Und das sollte auch so bleiben. Der kleinste gemeinsame Nenner ist der Paragraph 83 BGB ff. In diesem Rahmen darf eine Stiftung konservativ sein oder auch modern, darf divers sein, muss es aber nicht. Sie darf öffentlich sein, darf aber auch verschwiegen sein.“ Zumindest innerhalb gewisser Grenzen: „Bei 100 Millionen Euro und mehr ist eine Stiftung schon mehr ein mittelständisches Unternehmen. Das sind nicht nur andere Pflichten, auch andere Chancen. Es braucht Geld und Löhne und Personal. Dann gibt es auch ein Informationsrecht der Gesellschaft aus meiner Sicht.“ Wenn größere Summen dem Konsumkreislauf entzogen werden, so der frühere Banker, ergebe sich automatisch ein Recht auf Information. Die Transparenz hat für Knöß auch einen ganz praktischen Aspekt. „Was das Finanzamt abhakt, das kann ich auch der Öffentlichkeit zeigen. Das hat den Vorteil, dass man dann viele Anrufe nicht mehr bekommt, etwa: ‚Legen Sie mal 500.000 Euro in einem geschlossenen Fonds an‘“, sagt er lächelnd.

Begrenzte Sicherheit

Was die Absicherung gegen ein Wirken entgegen dem Stifterinnenwillen angeht, macht sich Knöß keine Illusionen: „Das ist immer eine Abwägung: Amtszeiten zu begrenzen, hat immer Vor- und Nachteile. Natürlich kann eine Fristenkongruenz, die dazu führt, dass Gremien gleichzeitig besetzt werden müssen, helfen, alte Freund- und Feindschaften aufzubrechen, aber dort, wo unlauter gearbeitet werden kann und soll, werden die immer bestehenden Spielräume ausgenutzt.“ Im schlimmsten Fall helfe eben nichts anderes, als auf den „natürlichen Exit“ zu warten, wie er es nennt. „Da muss man auf Zeit spielen. Aber insgesamt muss man davon ausgehen, dass der Sektor von engagierten und hochmotivierten Leuten begleitet wird. Man kann aber über die Satzung oder Geschäftsordnung nicht vollends ausschließen, dass aus einer Stiftung ein Selbstbedienungsladen wird.“ Aber auch hier gelte: „Solange ein Vorstand nicht gegen Recht und Ordnung verstößt, muss er eine Stiftung so führen, wie er es für richtig hält. Nur eben schauen, dass man regulatorisch sauber bleibt.“

Für die Stiftung gibt es mehrere Zukunftsszenarien. Fest steht, dass Neuhaus und Knöß ihre Positionen rechtzeitig abgeben wollen. „Ich kann mich davon lösen, meine Frau zum Glück auch. Wir haben zwei Pläne in der Schublade: Einmal geht es weiter in der Familie, einmal ziehen wir die Anfallklausel, Zweck und Kapital werden einer ähnlichen Stiftung übergeben. Wir bereiten beide Optionen vor.“ Es sei schwierig, eine Stiftung, die für die Ewigkeit gegründet ist, immer zeitgemäß zu halten. „Vielleicht ist der Zweck eines Tages völlig irrelevant. Man muss das einmal 50 oder 100 Jahre weiterdenken.“ Beim Zweck Leseförderung scheinen die Chancen jedoch gut zu stehen. Als sicherer nächster Schritt stehe die Auslagerung interner Verwaltung an. „Wir haben die Mittel dafür – und wenn ich davon befreit bin, kann ich Zeit mit Spendenakquise und Fundraising verbringen.“ Man wolle das modular lösen. „Wir beginnen mit der externen Buchführung, machen weiter mit der Berichterstellung. Wir wollen sehen, wie wir damit klarkommen.“

Mehr Zeit hat Knöß dann auch für den Fonds, den er für die Stiftung initiiert hat. Mit dem Klimazielfonds hat er gewissermaßen eine eigene Kapitalanlageform gebaut. Was er für die Kapitalanlage des Stiftungsvermögens suchte, habe es nicht gegeben. „Nichts, wo die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels draufstand.“ Sie selbst seien die ersten Anleger gewesen, dann „Family and Friends“ und am Ende auch eine große Familienstiftung.

Auch die Nele-Neuhaus-Stiftung habe ursprünglich konventionell angelegt. „Wir haben natürlich mit den üblichen Dividendenbringern im Depot begonnen“, sagt Knöß. Das sei noch von seiner beruflichen Perspektive geprägt gewesen. „Dann wächst man in die Stiftung rein, ist aus der Tretmühle Beruf raus – und stellt fest, dass wir da noch ganz andere Verpflichtungen haben.“ Aus seiner Sicht muss eine Stiftung nachhaltig anlegen. „Wenn ich in Assets investiere, die am Ende der Gesellschaft schaden, reiße ich auf der einen Seite Wunden auf, die ich auf der anderen zu heilen versuche.“

Aktuelle Beiträge