Kevin Endler verantwortet einen Fonds, der alleine durch künstliche Intelligenz gesteuert wird. Wie die Software „lernt“ und „entscheidet“ und ab wann die Maschine ihm den Job streitig machen wird, erklärt er im Gespräch mit DIE STIFTUNG.

Ihr Fonds arbeitet mit sogenannten Deep-Learning-Modellen. Ist das künstliche Intelligenz?
Kevin Endler: Künstliche Intelligenz ist der ganz allgemeine Begriff, der aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt. Das Ziel war, dass eine Maschine selbständig eine Aufgabe lernt und das erlernte Wissen, ähnlich wie ein Mensch, auf andere Aufgaben übertragen kann. Der Begriff hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, weil man gemerkt hat, dass das doch keine so leichte Aufgabe ist. Man hat dann auf den Begriff Maschinelles Lernen zurückgegriffen. Dieser bezeichnet die Fähigkeit, spezifische Aufgaben zu lösen. Anfang der 90er Jahre war der Begriff der neuronalen Netze prägend, was man heute Deep Learning nennt. Das Modell ist: Daten fließen in die Neuronen hinein, werden dort verarbeitet und an weitere Neuronen weitergegeben, und am Ende bekommen Sie einen Output heraus.

Welche Funktion hat das einzelne Neuron?
Endler: Das Neuron ist quasi eine kleine Berechnungseinheit. Im Gehirn kommen Spannungen rein, und je nachdem wie stark die Spannung ist, gibt das Neuron diese Information an den nächsten Bereich weiter. Ähnlich läuft es in einem künstlichen neuronalen Netz ab. Dabei werden die Informationen permanent gewichtet. Angenommen Sie geben eine völlig irrelevante Information rein – bei einer Wetterprognose den Ölpreis –, dann würde die Maschine diese Information sehr niedrig gewichten.

Woher weiß die Maschine das?
Endler: Ein Deep-Learning-Algorithmus muss dafür an ganz vielen Beispielen lernen. Um beim Wetterbeispiel zu bleiben: Ich würde der Maschine ganz viele Wetterparameter aus der Vergangenheit zeigen, wie zum Beispiel Luftdruck und Luftfeuchtigkeit und zusätzlich angeben, wie das Wetter am nächsten Tag ist. Die Maschine versucht dann, aus dem Input einen geeigneten Output zu generieren. Sagt die Maschine also aufgrund der vorliegenden Daten „Morgen regnet es“, dann würde ich historisch vergleichen, ob es wirklich am nächsten Tag geregnet hat. Und dann gebe ich der Maschine ein Feedback, etwa, dass sie falsch gelegen hat. Dann würde sie die Gewichtung einzelner Parameter ändern. Und das macht sie nicht mit einem Beispiel, sondern mit Millionen von Beispielen. Über die Zeit verbessert sich der Algorithmus.

Zu Beginn stochert der Algorithmus also im Trüben?
Endler: Ja, am Anfang sind die Fehlerraten sehr hoch, manchmal bei bis zu 95 Prozent. Über die Zeit wird die Maschine dann peu à peu besser in ihren Vorhersagen, bis man eine Fehlerquote erreicht hat, die der Anwender passabel findet. Im Schach und auch in weiteren Spielen haben künstliche Intelligenzen so bereits die besten menschlichen Spieler geschlagen.

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Zeigt die KI hier ihr volles Potential?
Endler: Für mich sind das immer noch in Anführungszeichen relativ dumme Maschinen, auch wenn sie übermenschliche Fähigkeiten in Spielen wie Schach oder Go besitzen. Denn im Schachspiel sind alle Informationen, die Sie brauchen, auf dem Schachfeld. Weitere Informationen gibt es nicht. Eine KI im Finanzbereich ist anders, weil das System dadurch beeinflusst wird, wie sich die Akteure jeden Tag verhalten. Am Finanzmarkt passiert auch Unerwartetes, etwa, dass der Ölpreis negativ wird. Man kann also nicht immer auf dieselben Faktoren setzen, etwa auf das Preis-zu-Buch-Verhältnis. Das wird eine Zeit lang funktionieren, aber auch nicht immer. Ein weiterer Faktor ist, dass eine Maschine bei einem Brettspiel Millionen und Milliarden Mal gegen sich selbst spielen kann, es gibt also immer genug Trainingsmaterial. In unserem Fall ist es schwieriger, da wir nur eine einzige Historie des Finanzmarktes haben; ich kann hier kein neues Spiel starten. Das Datenset ist somit überschaubarer als in anderen Bereichen.

Warum kann die Maschine Lösungen finden, die der Mensch niemals in Erwägung ziehen würde?
Endler: Es ist schon fast eine philosophische Frage, ob die Maschine im eigentlichen Sinne kreativ ist oder ob sie einfach nur alles ausprobiert. Das ist bis heute nicht zu hundert Prozent zu beantworten. Vieles sieht kreativ aus, ist aber ein Prozess, bei dem der Mensch noch viel Input gegeben hat. Bei allen erfolgreichen Applikationen war der Mensch noch ein entscheidender Faktor: Wie die Modelle aufgesetzt sind, welche Daten man in ein System eingibt – da steckt schon viel Hirnschmalz drin. Das Spiel Go zum Beispiel ist deutlich komplexer als Schach. Bei Schach konnte man mit Macht alle Spielzüge durchspielen und hat den besten genommen. Das hat nichts mit Kreativität zu tun. Das Spiel Go hingegen hat mehr Züge als Atome im Universum, da kann man nicht mit Computerpower alles durchrechnen. Sondern man braucht Entscheidungsbäume, muss mit Wahrscheinlichkeiten rechnen. Das ist ein Prozess, den der Mensch für die Maschine aufgesetzt hat.

Das Ziel muss dabei aber durch den Menschen vorgeben sein?
Endler: Genau, das Ziel gibt der Mensch vor. Aber er sagt der Maschine nicht, welche Parameter wichtig sind und welche nicht. Er gibt ihr überhaupt keine Regeln vor. Das einzige, was der Programmierer definiert, sind die Datenquellen und was er am Ende rausbekommen möchte. Aber das Lernen von eigenen Regeln ist das, was die Maschine selbständig macht. Das ist Maschinelles Lernen oder Deep Learning.

Wie hat sich Deep Learning weiterentwickelt?
Endler: Früher hatte man eine Eingabeschicht, eine verarbeitende Schicht und eine Ausgabeschicht. Weil die Rechner heute deutlich mehr Leistung haben, hat man viele verarbeitende Schichten zwischen In- und Output geschaltet. Dadurch kann die Maschine deutlich mehr erkennen. Nehmen wir das Beispiel Bilderkennung: Wenn eine Maschine ein Auto erkennen soll, lernt sie in einer ersten Schicht, Ecken und Kanten zu erkennen. In der nächsten Schicht setzt sie diese Ecken und Kanten zusammen, um Objekte zu erkennen, etwa ein Rad oder eine Heckscheibe. Und so setzt sie hierarchisch das Auto quasi Stück für Stück zusammen.

Wie viele verarbeitende Schichten braucht ein Algorithmus?
Endler: Je weniger Daten man hat, desto einfacher sind die Modelle strukturiert. Bei der Bildererkennung sind das 30 bis 40 Schichten in der Mitte zwischen Input und Output. Da hat man aber auch Milliarden von Bildern. Bei uns sind die Modelle sehr einfach gestrickt, da hat man vielleicht zwei oder drei Schichten.

Was ist denn eigentlich Hype und was ist heute schon machbar?
Endler: Im Gaming-Bereich sind Maschinen sehr gut, weil dort die Regeln immer gleich sind, zudem in der Bilderkennung, weil man dort sehr viele Beispiele erzeugen kann. So kann ich etwa das Bild einer Katze ein wenig drehen, und schon habe ich ein neues Trainingsbeispiel. Vieles, was bereits im Einsatz ist, basiert auf Machine Learning und KI. Aber weil man sich daran gewöhnt hat, nimmt man das nicht unbedingt wahr.

Ist für Sie noch nachvollziehbar, welche Anlageentscheidungen die KI trifft?
Endler: Nein. Man kann Analysen laufen lassen auf den fertigen Modellen und schauen, welche Faktoren wichtig waren. Das Ganze muss man sich aber als eine gigantische Formel vorstellen. Es ist schwierig für den Menschen, diese zu erfassen.

Herr Endler, macht Sie die KI auf absehbare Zeit arbeitslos?
Endler: (lacht) Im Moment habe ich da wenig Sorge, da der Mensch noch in jedem Schritt ein entscheidender Faktor ist. Die nächsten zehn bis 15 Jahre habe ich bestimmt noch. Sattelfest ist aber niemand so richtig in den nächsten 30 Jahren.

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