Künstliche Intelligenz steckt noch in den Kinderschuhen, hat aber längst mehr zu bieten, als Schachweltmeister in die Knie zu zwingen. Die Technologie verfügt über derart disruptives Potential, dass sie ganze Branchen auf den Kopf stellen könnte – auch die Finanzindustrie. Ist KI als Investment für Stiftungen interessant?

Geht es um künstliche Intelligenz (KI), mangelt es nicht an starken Aussagen: Als „stille Revolution“ wird diese bezeichnet oder auch als vierte industrielle Revolution. So erklärte etwa der russische Präsident Wladimir Putin auf einem Kongress vor Schülern: „Wer die KI beherrscht, der beherrscht künftig die Welt.“ Nicht zuletzt wegen solcher martialischer Aussagen und auch wegen dystopischer Hollywoodstreifen mit kämpfenden Robotern assoziieren viele Menschen den Begriff KI mit der Vorstellung, dass sich die intelligente Maschine letzten Endes gegen den Menschen wenden könnte. Dabei ist künstliche Intelligenz eine Technologie, die in den verschiedensten Bereichen Anwendung finden und viele alltägliche Prozesse grundlegend verändern wird – und heute schon verändert.

Erste medienwirksame Erfolge hat die KI schon vor Jahren verbuchen können. Der IBM-Schachcomputer Deep Blue schlug 1996 den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow. Ganze 20 Jahre dauerte es, bis der als der beste Go-Spieler der Welt geltende Südkoreaner Lee Sedol gegen ein Programm namens Alpha Go verlor – entwickelt von einem Unternehmen, das der Google-Mutterkonzern Alphabet aufgekauft hat. Das aus China stammende Brettspiel Go ist weitaus komplexer als Schach, da es wesentlich mehr Züge zulässt. Die KI kann somit nicht mehr alle möglichen Züge durchrechnen und den Zug mit der höchsten Gewinnwahrscheinlichkeit auswählen – sie muss vielmehr in der Lage sein, Entscheidungsbäume abzubilden und nur erfolgversprechende Züge durchzurechnen.

Im Alltag angekommen

Aber auch abseits des Spielekosmos hat die KI wichtige Bewährungsproben bereits bestanden. Still und heimlich hat die Technologie Einzug in unseren Alltag gehalten. Bei Servicehotlines reden Anrufer mit Bots, die auf künstlicher Intelligenz beruhen. Die Sprachassistenten Siri auf dem iPhone und die sprechende Box Alexa von Amazon sind ebenfalls künstliche Intelligenzen. Auch autonomes Fahren erfordert KI. Und viele noch weitaus exotischere Anwendungsfälle sind bereits erprobt.

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800 Anwendungsfälle
Die Website deepindex.org listet über 800 Beispiele dafür, was KI heute schon kann. Darunter sind verblüffende Beispiele, wie etwa Bilder zu malen, Lie­der zu komponieren oder die Kreditwür­digkeit eines Kunden zu bewerten. Weite­re Beispiele kommen aus ganz anderen Anwendungsgebieten: So kann eine künstliche Intelligenz Buschfeuer vorher­sagen, den Wasserverbrauch optimieren oder Facebook-Nutzer kennzeichnen, die suizidale Absichten äußern. Freilich gibt es Anwendungsfälle, die hoch problema­tisch sind: Die Gesichtserkennung für das Social-Scoring-System in China, das ge­sellschaftlich akzeptables Verhalten för­dern soll, ist ebenfalls KI-basiert.

Was aber fällt unter den Begriff künstliche Intelligenz, der einigermaßen schwammig ist? „Künstliche Intelligenz ist der Trend, dass Maschinen mit der Zeit immer intelligenter werden, also wahrnehmen, lernen und Erlerntes an­wenden können“, sagt Tobias Rommel, Portfoliomanager bei der DWS. Künstli­che Intelligenz ist im Grunde ein Sam­melbegriff für jegliche Technik, die Com­puter in die Lage versetzt, menschliche Intelligenz zu imitieren.

Ein Teilbereich der künstlichen Intel­ligenz ist das maschinelle Lernen, das ei­ner Maschine erlaubt, mittels statisti­scher Techniken zu „lernen“. Ein Algo­rithmus erkennt in diesem Fall Muster in einer Fülle von Beispielen. Nach Beendi­gung einer Lernphase mit möglichst vie­len Probebeispielen kann die Software Gelerntes verallgemeinern und auf wei­tere Beispiele übertragen. „Machine Le­arning oder künstliche Intelligenz findet dann statt, wenn man ein Modell hat, das aus Daten selbständig lernt, eine Aufgabe zu lösen, ohne dass Regeln vor­gegeben sind“, ergänzt Kevin Endler, Portfoliomanager bei Acatis.

Wenige Nanometer

KI ist dabei keine völlig neue Idee: Theo­retische Überlegungen dazu gibt es schon seit Jahrhunderten, Forschung aus der Mitte des vergangenen Jahrhun­derts ist bis heute von Bedeutung. Inzwi­schen haben sich aber die Bedingungen für die Entwicklung von KI deutlich ver­bessert: Voraussetzung für das Fort­schreiten von KI ist zum einen die mas­siv angestiegene Menge an Daten, die der Maschine zum Lernen zur Verfügung steht. „90 Prozent der weltweit verfügba­ren Daten sind laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Gartner in den letzten zwei Jahren entstanden. Das ist durch Menschen nicht mehr zu verar­beiten“, sagt Nico Baum, Head of Innova­tion and Data bei der Privatbank Beren­berg. Er hält qualitativ hochwertige Da­ten für entscheidend, um KI zu entwi­ckeln: „Die Daten sind meiner Meinung nach wichtiger als der Algorithmus, denn ein guter Algorithmus ist heute als Open Source verfügbar und von einem guten Data Scientist schnell umgesetzt.“

Gleichzeitig mit der gestiegenen Da­tenmenge hat sich die Rechenleistung von Computern verbessert – eine Vor­aussetzung dafür, dass die Fülle an Da­ten erlernt werden kann. Damit sich die­ses Wachstum fortsetzen kann, werden Computerchips aus immer kleineren Bauteilen zusammengesetzt. „Wir sind bei den in Chips verbauten Transistoren derzeit im Nanometer-Bereich und kom­men in einigen Jahrzehnten bestimmt in den atomaren Bereich“, sagt Rommel.

Der große Durchbruch für die KI könnte jedoch noch vor uns liegen. Dass die Maschine den Menschen arbeitslos macht, sieht Aktienanalyst Guido Stiel von der Bethmann-Bank allerdings nicht kommen: „Die Angst, dass die KI uns überflüssig macht, ist da. Wie wir seit der Industrialisierung gesehen haben, sind das aber meist die einfachen Pro­zesse, die überflüssig werden.“ Das könnte dazu führen, dass einzelne Ar­beitsschritte auch in hochqualifizierten Berufen durch die KI ausgeführt werden. Ein solcher Wandel könnte schrittweise erfolgen: Zunächst wird die KI vor allem unterstützen, später wird sie dem Men­schen auch Arbeit abnehmen. Das lässt sich am Beispiel der Diagnostik illustrie­ren: Während Ärzte teilweise heute schon auf die Unterstützung von KI bei der Auswertung von Röntgen-Bildern zu­rückgreifen, könnte die Medizin nach ei­ner Bewährungsphase die gesamte Un­tersuchung an die KI abgeben.

USA gegen China

Die KI mit ihren vielfachen Anwendungs­möglichkeiten ist eine so bedeutsame Technologie, dass viele Länder darum konkurrieren, auf diesem Gebiet Vorrei­ter zu sein. „Wir sehen ein Wettrennen zwischen USA und China“, sagt Rommel. „In China gibt es nicht ganz so viele Wis­senschaftler, aber es gibt die langfristige strategische Zielsetzung, Vorreiter zu werden. Der Handelskrieg geht dahin, China in seiner Expansion in Sachen KI zu bremsen.“ Um Chinas rasches Voran­kommen zu stoppen, setzten die USA da­rauf, chinesischen Firmen den Zugang zu Hardware zu erschweren. Die techni­sche Voraussetzung für die umfassen­den Berechnungen vieler KI-Anwendun­gen ist die Halbleitertechnologie. Brice Prunas, Portfoliomanger eines KI-Fonds bei ODDO BHF, glaubt, dass die USA in Sachen Hardware die Nase vorne haben: „Es wird noch einmal zehn Jahre dauern, bis China gleichwertige Halbleiter in Be­zug auf Performance und Effizienz pro­duzieren wird wie die USA.“

Eine Studie des Thinktanks Center for Data Innovation bestätigt diese Ein­schätzung und sieht die USA vorne in dem Rennen um die Technologieführer­schaft. Die USA führen demnach in vier von sechs Bereichen: in den Kategorien Fachkräfte, Forschung, Entwicklung und Hardware. China führe nur in zwei der Kategorien, sei aber rasant am Aufholen. China verfüge über einen gewaltigen Da­tenschatz und damit über eine Wichtige Ressource im Rennen um KI. Und in ei­nem weiteren Bereich sei China vorn: Die chinesischen Firmen nehmen laut Studie die Technologie eher an.“

Europa führt in der Studie in keiner der Kategorien und liegt auch in den Augen der Experten hinten in dem globalen Wettrennen. „Meine Einschätzung ist, dass wir weit hintendran sind. Das liegt nicht an der Grundlagenforschung, wir haben gute Wissenschaftler. Oft ist es die Hürde, daraus Anwendungen zu entwickeln: Viele Anwender gehen in die USA, weil sie dort vielleicht die zehnfache Förderung erhalten“, sagt Rommel. Dass sich letzten Endes die Firmen eines Landes durchsetzen und den gesamten Markt dominieren, bezweifelt er allerdings: „Ich glaube, dass die Märkte stärker fragmentiert werden, sodass die USA eher den westlichen Markt dominieren, China eher den ostasiatischen Markt – vielleicht sogar inklusive Indien.“

KI als Investment

Sehr wahrscheinlich ist, dass die KI mit ihrem enormen disruptiven Potential ganze Branchen auf den Kopf stellen wird – auch die Finanzindustrie. Aber ist künstliche Intelligenz als stark wachsendes Marktsegment auch als Investment für Stiftungen interessant? Und wie können sie in die Technologie investieren?

Die einfachste Art, in KI zu investieren, ist sicherlich über auf KI ausgerichtete Fonds. Diese tragen zumeist den Zusatz künstliche Intelligenz, das englische Pendant Artificial Intelligence oder die entsprechenden Kürzel KI oder AI im Namen. Natürlich sind auch Investments in künstliche Intelligenz durch den Ankauf von Einzeltiteln oder ETFs möglich.

Dadurch, dass KI zum einen Computer-Hardware benötigt und als Prozess in vielen Bereichen Anwendungen finden kann, lässt sich auf verschiedenen Stufen am Wertschöpfungsprozess im Bereich KI teilhaben. „Wir investieren in zwei Arten von Unternehmen: zum einen in Unternehmen, die KI produzieren, im Wesentlichen Technologieunternehmen – die etwa 60 Prozent unseres Portfolios ausmachen – und zum anderen zu 40 Prozent in Unternehmen, die KI nutzen“, sagt Portfoliomanger Brice Prunas. „Von den Letzteren sind 20 Prozent im Gesundheitssektor angesiedelt. Der Rest kann fast alles sein: von einer Investmentbank bis zu einem Autohersteller.“

Dennoch sind KI-Firmen wie auch andere Technologie- und Wachstumswerte nur begrenzt als Investment für Stiftungen geeignet. Dies liegt vor allem daran, dass Stiftungen auf laufende Erträge, wie Dividenden, angewiesen sind. Guido Stiel, Portfoliomanager bei der Bethmann-Bank, erklärt: „In der Regel sind KI-Firmen Wachstumsunternehmen, die wenig oder gar keine Dividende zahlen. KI ist mit Sicherheit eine gute Beimischung, auf das Gesamtportfolio bezogen muss man sich aber die Frage stellen, inwieweit ein solches Investment den Ausschüttungsgedanken konterkariert.“ Stiftungen sollten sich also gut überlegen, wie viele laufende Erträge sie auf ihr investiertes Kapital benötigen und mit welchen Beträgen sie auf dividendenschwache, aber wachstumsstarke Investments setzen wollen.

Wer sich auf die Suche nach KI-Firmen macht, sollte sich dabei nicht von einem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) abschrecken lassen. „Wenn ein Titel ein KGV von 20, 30, 40 oder sogar 45 hat, sieht das erstmal teuer aus. Stellt man das aber dem Rentenmarkt gegenüber – da kriegt man null Ertrag beziehungsweise minus –, sind solche KGV in der relativen Betrachtung gar nicht so sehr überteuert“, findet Stiel.

Grenzen von KI

Neben dem Entwicklungspotential, das die KI birgt, kennt die Technologie aber auch Schwächen. Nico Baum kann sich vorstellen, dass in den nächsten Jahren Ernüchterung eintritt: „KI kann Muster und Korrelationen erkennen – aber keine Kausalität erklären. Es kann also sein, dass die KI sagt, was wir tun sollen, etwa in eine bestimmte Aktie investieren. Aber sie kann nicht sagen, warum. Das ist eigentlich nicht die Art, wie wir arbeiten.“ Außerdem könne KI nicht auf neue Umstände reagieren, da sie aus Daten gelernt hat, die auf Geschehenem beruhen. „Wenn die Muster in der Zukunft mal abweichen, kann eine KI darauf nicht reagieren. Und sie ist dort noch nicht so weit, wo man Beziehungen zu den Menschen braucht. Sie ist aber überall da sinnvoll, wo man große Datenmengen hat, die Muster zeigen.“

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Ein Megatrend, viele Möglichkeiten in der Finanzbranche

Nicht nur ist KI ein interessantes Investment. Zugleich kommt KI im Finanzsektor selbst vielfach zur Anwendung. In Deutschland sogar besonders häufig: Laut einer Studie von Deloitte kommt KI in Deutschland mit rund 15 Prozent häufiger im Finanzsektor zum Einsatz, als das in anderen Ländern (acht Prozent) der Fall ist. Einige Anwendungsbeispiele:
Banken nutzen KI, um Muster in Währungskursen zu erkennen. Die KI lernt, Preise in Währungspaaren zu prognostizieren, und liefert Handlungsempfehlungen für den Portfoliomanager. Eine andere Anwendungsmöglichkeit, die verschiedene Vermögensverwalter nutzen, sind sogenannte sentimentbasierte Fonds – das sind Fonds, die mittels KI die „Stimmung“ im Markt abbilden wollen. Dafür analysiert diese Nachrichten, Twitterposts und Kommentare in Foren. Ähnliche Versuche gibt es für Kontroversen um Nachhaltigkeit: So kann eine KI darauf trainiert werden, nachhaltigkeitsrelevante Nachrichten zu erkennen und diese in die ESG-Bewertung einfließen zu lassen. Dass die KI vollends das Steuer übernimmt und das Portfolio eines Fonds zusammenstellt, ist noch vergleichsweise selten der Fall. Kevin Endler verwaltet für die Investmentboutique Acatis einen solchen Fonds.

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